MY COVERED (FEM.) HISTORY
Inhalte von Vimeo werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf “Zustimmen & anzeigen”, um zuzustimmen, dass die erforderlichen Daten an Vimeo weitergeleitet werden, und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in unserer Datenschutz. Du kannst deine Zustimmung jederzeit widerrufen. Gehe dazu einfach in deine eigenen Cookie-Einstellungen.
Die Leipziger Baumwollspinnerei
Die Leipziger Spinnerei war eine Fabrik der Textilherstellung, heute ist sie ein Ort der Kunst. An einem solchen Ort erwarten wir keine Fabrikarbeiterinnen mehr, aber auch heute noch gibt es auch dort Arbeiterinnen, die jedoch weiterhin unsichtbar bleiben. Geschah dies in der Zeit der Industriegesellschaft durch meist männliche Direktoren oder (Kapital-) Unternehmer, sind es heute z.B. globalisierte Arbeitsteilung und eine Digitalisierung, die die Arbeit und die Arbeiterinnen verbergen. Die gesellschaftliche Annahme das weibliche Industriearbeit verschwunden ist, stellt somit nicht nur in Leipzig einen Irrtum dar. Durch meine aktuelle Arbeit mit den historischen Fotografien, das Herauslösen der Frauen aus der Anonymität, möchte ich ein Fenster der Auseinandersetzung öffnen zur Gegenwart weiblicher Arbeitsverhältnisse. Auch wenn heute weibliche Erzählungen von Arbeit mehr Gehör finden braucht es weiterhin künstlerische Übersetzungsarbeit, um diese historischen Erfahrungen der Frauen greifbar zu machen.
Die von mir in den Kiewer und Leipziger Archiven erforschten Bilder bilden ein (foto- grafisch) beeindruckendes Reservoir an Utopie ab. Dieses Material bildet die Ausgangslage meiner Ausstellung auf der Spinnerei 2022. Mir geht es dabei nicht nur um die Dekonstruktion der eindimensionale Erzählungen von der arbeitenden Frau. Mir geht es vor allem um diverse Blicke auf Weiblichkeit innerhalb der Arbeitswelt. Es geht um ihren Körper, harte physische Leistungen, ihr Empfinden, ihre eigenen Blicke und Blicke auf sie. Es geht um Belehrungen oder Grenzüberschreitungen, die sie nicht aufgrund »schlechter« Arbeitsleistungen erfährt, sondern nur aufgrund ihres Geschlechts. In den Fokus rücken die vielen Bilder von Frauengruppen mit oft einem Mann darauf, der die Richtung weist. Und Bilder von Arbeiterinnen, die mit Dankesblumen abgefunden werden. Wenn ich die Fotografien und das Material ergründe, spüre ich auch meine eigene Biografie, meine weibliche Sozialisation und auch die meiner Mutter und Großmutter darin.
MY COVERED (FEM.) HISTORY
Gezeigt werden ein Banner am Verwaltungsgebäude der Baumwollspinnerei und ein Großposterdruck am Billboard des MdBK auf dem Geländer der ehemaligen Baumwollspinnerei in Leipzig. Das Banner trägt in abstrahierter Form einen Slogan, der entnommen ist aus einem früheren Banner der Baumwollspinnerei: »Hier haben 3200 Frauen gearbeitet. Sie hätten die Direktorinnen von heute sein müssen.« Materielle Grundlage des aufgemalten Slogans bildet ein Baumwollstoff, den die Weberei der Fabrik Edelvika in Lutz (Ukraine) hergestellt hat. Der Stoff, genauer ein Baumwollgemisch, wurde unter Leitung der Arbeiter*innen der Fabrik produziert. Auch heute arbeiten überall auf der Welt hauptsächlich Frauen in der Textilproduktion. Ich will daher mit dem Banner jenes Versprechen der 50er Jahre erneut hervorholen, das aus den Frauen in der Leipziger Baumwollspinnerei Direktorinnen hätten werden sollen. Zwei Detailaufnahmen von Arbeiterinnen der Baumwollspinnerei Leipzig sind mit einem Siebdruckverfahren in roter Farbe aufgedruckt. Der Banner ist am ehemaligen Direktionsgebäude im Eingangsbereich installiert, an dem auch die früheren Banner der Spinnerei Leipzig hingen. Heute ist es das Verwaltungsgebäude der Leipziger Baumwollspinnerei Verwaltungsgesellschaft mbH. Grafikdesign: Kseniia Kovtaniuk und Timm Hengersen
Das Bild auf dem MdbK-Billboard zeigt als fotografisches Fragment die Spitzenweberinnen und Komsomolzinnen der Florwerkstatt (von links nach rechts): Rimma Medlovskaia, Nadezhda Moliar, Sofia Korovnik, Nadezhda Storozhenko, Nina Stepanova, Yekaterina Stepura. Die Originalaufnahme wurde von V. Sychev 1957 im Darnytskyi Seiden Kombinat in Kiew fotografiert. Das Bild transportiert für mich den sensiblen Stolz arbeitender Frauen in Kiew, deren Arbeitsbekleidung eine feminine Identifikation verweigert. Meine Fragmentarbeit löst diese einfache Zuschreibung noch weiter auf, indem ich die Körperbewegungen, Körperhaltungen und Gesten der Frauen fokussiere (Arme hacken sich bei einander ein, aufrechter Körperhaltung, Blick von unten nach oben auf das Gegenüber u.a.). Somit gehört diese Fotografie nicht mehr allein in die historische Betrachtung weiblicher Arbeit, sondern gilt auch heute unvermindert weiter. Sie zielt auf eine Frage nach Emanzipation, die nicht zeitlich und räumlich eindimensional verläuft. Grafikdesign: Kseniia Kovtaniuk und Timm Hengersen
Ein wichtiger Transferschritt ist ebenso eine Videoarbeit auf der Ausstellungswebseite, welche auf einem Interview zwischen mir und der ehemaligen Spinnerin Heidi Schmidt aufbaut. Das Interview habe ich am 30.05.2022 in der ehemaligen Betriebsschule, der heutigen Halle 11, aufgenommen. Mit dem Einweben ihrer Lebens- und Arbeitserzählungen in meine Fragmentausschnitte der Archivbilder will ich die Wechselbeziehung zwischen Geschichte und Gegenwart darstellen bzw. dies den Betrachter*innen ermöglichen. Videoschnitt: Corina Seichter Tonaufnahmen Textilmaschinen: Friederike Moormann
Credits
Sie hätten die Direktorinnen sein müssen
Ramona Schacht 2022
Banner, 1,48 x 9,52 m
Malerei und 2 Siebdrucke auf Stoff
Stoff: Baumwollstoffgemisch
Produktionsort: Lutz
Firma: Edelvika
Fotografien:
o.T. Detailaufnahmen
(10. Jahrestag der DDR, bei der Produktionsberatung, Baumwollspinnerei Leipzig 1978), Archiv Massiv der Spinnerei, 2021
Spitzenweber*innen und Komsomolz*innen
Ramona Schacht 2022
Großplakatdruck, 3,22 x 4,16 m
o.T., Detailaufnahme
(Die Spitzenweberinnen und Komsomolzinnen der Florwerkstatt (von links nach rechts): R. Medlovskaia, N. Moliar, S. Korovnik, N. Storozhenko, N. Stepanova, Y. Stepura, Darnytskyi Seiden Kombinat, Kiew 1957, V. Sychev)
Archiv des Ukrainischen Staates, Kiew 2021
Herzlichen Dank an die Unterstützer*innen und das erweiterte Projektteam:
Heidi Schmidt, Luca Bublik, Marie-Christin Janssen, Timm Henger, Ksenia Kovtaniuk, Anya Grinkevich, Lenn Blaschke, Steffi Schminke, Klaudia Druciak
Michael R. Ludwig, Lukas Pfalzer, Corina Seichter, Johanna Schreier, Baumwollspinnerei Leipzig